Teure Heimat – fremde Heimat
20. AUG – 11. SEP 2022
Raimund Schui
Wenn Raimund Schui sich eines Themas annimmt, gestaltet er es auf eine Art, die unverwechselbar, unverfälscht ist. Die neue Serie spricht schon im Titel von dem, was nah und auch so fern ist. „Teure Heimat – Fremde Heimat“ widmet sich mit Inbrunst und Hingabe einer Herkunftsregion, die territorial unter den Höhenzügen des Taunus zu verorten ist. Zum Fundament von Verwandlung und Deutung ist hier geworden, was der Knabe einst erwanderte und bestaunte. In den während der vergangenen beiden Jahre entstandenen Gemälden hat das Degenerierte neben dem Stiftenden seinen Sitz, Idyllen sind unhaltbar geworden. Längst ist die Kulisse kein besänftigender Hintergrund, keine Augenweide mehr.
In bekannter Weise stellt Raimund Schui seine Heimat auf die Bühne und auf die Probe – bis zu Konzeption und Vollendung der nun präsentierten Arbeiten hat es ein ganzes Menschenleben gebraucht. Ja, teuer und fremd ist sie, die Heimat des Künstlers. Die auch die unsere ist. Gut, dass einer die Oberfläche entdeckelt, seiner tieferen Schau keine Grenzen auferlegt hat. Wir erfahren aber auch: Im Laufe all der langen Zeit des unermüdlichen Schaffens einer beseelten Hand – abhold dem schnöden Ruhm, der öden Gefallsucht – haben Natur und Landschaft keinen Deut an Faszination eingebüßt.
Laudatio von Olaf Velte: Heimatkunde à la Schui
Es ist die Kleinigkeit von 10 Jahren her, dass wir hier in der Galerie Artlantis die 1,70 Meter mal 1,25 Meter große „Geldsau“ erblicken durften. Eine in aller farblichen Treffsicherheit nicht zu verkennende Zustandsbeschreibung spätkapitalistisch-westlicher Mentalität. Seitdem sind weitere Säue durch ein Land getrieben worden, das heute – im Jahre 2022 – in den größten Schwierigkeiten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs steckt.
Dass sich der Künstler Raimund Schui – gänzlich unerwartet zwar, aber doch zwangsläufig – dem Thema „Heimat“ mit all seinem Können zugewendet hat, mag verwundern. Die nun eröffnete Ausstellung ist „Teure Heimat – Fremde Heimat“ überschrieben, umgehend signalisierend wie unzuverlässig das ach so Bekannte, das Naheliegende ist.
Erstaunlich auch, dass ein Maler, der durch die Trümmerlandschaften des zerbombten Alt-Frankfurt geklettert ist, diesen Begriff nochmals ins Feld der Kunst führt, sich auf belastetes Terrain begibt.
Raimund Schui, so ist zu vermuten, will sich nach einer langen Lebensbahn als kreativer und rebellischer Geist eines vorzeiten Erfahrenen und Erlebten wiederum versichern. Kindheit, frühe Jugend, aufgewachsen in Oberursel, einem Ort, der nie künstlerische Heimat, aber Stätte des Wohnens, des (O-Ton) „Brötchen-Holens“ war. Mit dem Thema angebandelt hat unser Mann bereits vor einigen Jahren – das großformatige Bildnis der Eschbacher Klippen erzählt von diesem Anfang.
Seither hat er sich einem rauschenden Arbeiten überantwortet. Die 14 in diesen Räumen präsentierten Werke zählen zum Knackigsten, was in seiner Werkstatt entstanden ist. Sie markieren einen Sprung durch die Zeit, durch Existenz und Werk. – Dabei ist alles beim Bewährten geblieben. Stilistisch hat sich kein Deut verändert, die Malerhand gehorcht weiterhin einer klassischen Tradition. Einer Tradition, die auf Ölfarbe samt Schichtungen gründet, dem Wissen um die überlieferten Möglichkeiten von Pinsel und Finger.
Als Meisterschüler, ja legitimer Nachfolger des Künstlermenschen Peter Engel ist anderes auch nicht denkbar. Nicht nur der Umgang mit Farbe und Form stammt aus jener prägenden Lernphase, auch die geradezu barocke Fülle des Dargebrachten. Raimund Schui gestaltet vorwiegend mit der rechten Hand, folgt dabei einer unzeitgemäßen Manier. Der Blick von Außen festigt die gesellschaftskritische Haltung.
Es wird kein Zufall sein, dass sowohl Lehrer Engel als auch Schüler Schui aus Arbeiterfamilien kommen, das künstlerische Schaffen auf die Basis eines handwerklichen Berufs gestellt haben. Gefragt nach dem zuweilen erbarmungslos anklagenden Impuls seiner Arbeiten, antwortet unser Heimat-Deuter mit einem „Beileibe kein Moralist, vielmehr ein Erzähler“.
Ehrlichkeit, Konsequenz, Rückgrat. Und noch immer gilt der Ausspruch: „Ein Streben nach allgemeiner Anerkennung ist sowieso der größte Schwachsinn.“ Folgen wir also dem Maler in seine fremde Heimat.
Es sind keine geheimen Winkel, die uns hier locken. Vertraute Szenerien vielmehr: Feldberg, Herzberg und Fuchstanz, Eschbacher Klippen und Möttauer Weiher, Kurpark, Burgruine, Weiße Mauer. Am bekannten Motiv kann das Auge indes nicht lange verweilen, wird hingezogen zur Vorderbühne, wo ein befremdliches Remmidemmi herrscht. Eine, nun ja, heimatliche Welt, bevölkert aber von einem, den verschiedensten Sphären angehörenden Figurenensemble. Irdisches, Unter-, Außer- und Überirdisches. Es ist ein dramatischer Reichtum in diesen Bildern, der langes Verweilen notwendig macht.
Haben wir die Heimat jemals so erlebt? Ach, wie nahe beieinander doch Bedrohliches und Beglückendes stehen! Raimund Schui spricht von „Querverbindungen“, die seinen Werken stets eingeschrieben seien. Dünnen Luftseilen gleich, auf denen sich die Akrobatik des alltäglichen Lebens vollzieht. Der Wald stirbt, die Kröte weissagt, ein Raumschiff landet, das Pizzastück vergammelt, der Knüppel hebt sich – Bedrängungen aller Art. Aber auch: ein großer Humor, ein grimmiger, ein Dennoch.
Hölderlin sagt: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Die Rettung naht hier in Gestalt mythischer Frauen, selbstverständlich jung und blond, gut gebaut, manchmal tätowiert, manchmal das Smartphone im Slip. Vor ihnen, den Göttinnen und Racheengeln, verstummt jedes Geschrei, verebbt jede aggressive Aufwallung männlicher Protzerei.
Schui’s Heimat kennt jedoch auch die ruhige, geradezu sanfte Viertelstunde. Ja, wer möchte nicht mitplanschen bei der „Poolparty“ im Forellengut, sich nicht auf dem Kolter vor der Hardertsmühle (übrigens das persönlichste Bild in dieser Ausstellung!) niederlassen, wo die Eierlikörtorte wartet und das Motto „Vorwärts in die Vergangenheit“ gilt. Herrlich und detailreich herausgearbeitete Sujets, das Porträt der Freunde, auch das Selbstporträt nicht scheuend. – Mag die Heimat noch so seltsam und vielgestaltig sein: das Ich ist immer mittendrin, immer mitgemeint.
Bevor wir uns dieser Heimatkunde a la Schui mit ihren unhaltbaren Idyllen und grenzenlosen Verwandlungen hingeben, soll noch einer Bitte des Künstlers nachgegeben werden. – Im Kabinettraum dieser wunderbaren Galerie hat die Installation „Frösche verschmutzen die Umwelt“ ihren Platz gefunden. Wir erblicken die Frösche, wir erblicken den Müll.
Maler und Veranstalter gewähren Ihnen, den willkommenen Gästen, nun freie Hand und möchten dazu aufrufen, weiteren Abfall dazuzulegen. Scheuen Sie sich nicht, den verschmierten Lippenstift, das alte Sacktuch, den lieblos getragenen Ehering vor die Frösche zu werfen. Nur Mut! Und viel Freude mit diesen 14, von Meisterhand gestalteten Malereien!